Über uns

Selbstverständnis Hebflexion

Wer wir sind

Wir sind Hebflexion – eine Hebammenpolitgruppe aus Berlin, Leipzig und Halle. Wir setzen uns für den Abbau von Diskriminierungen und den damit verbundenen Machtstrukturen in der Hebammenarbeit ein.

Wir haben uns zusammengetan, um unsere Arbeit zu reflektieren, gemeinsam weiter zu lernen und so zu einer respektvollen und gerechten Hebammenversorgung beizutragen.

Reproduktive Gerechtigkeit

Da unsere Arbeit auf dem Konzept der Reproduktiven Gerechtigkeit aufbaut, möchten wir es an erster Stelle nennen.

Reproduktive Gerechtigkeit verbindet das Recht auf körperliche und reproduktive Selbstbestimmung mit sozialen Gerechtigkeitsfragen. Es wurde in den 1990er-Jahren in den USA von Schwarzen Feminist*innen entwickelt – als Kritik an einer weißen und bürgerlichen Pro-Choice-Bewegung, die Lebensrealitäten mehrfach diskriminierter Menschen nicht mitdachte.

Die Gunda Werner Stiftung formuliert in ihrer Broschüre zur Reproduktiven Gerechtigkeit drei wesentlichen Grundsätze des Konzepts:

  1. „Das Recht, Kinder zu bekommen und die Umstände der Geburt selbst zu bestimmen.
  2. Das Recht, keine Kinder zu bekommen und sicheren Zugang zu Verhütung und Abtreibung zu erhalten.
  3. Das Recht, Kinder unter guten Bedingungen und ohne Gewalt aufzuziehen und die Umstände der Elternschaft selbst zu bestimmen.“

Dabei geht es nicht nur um Wahlfreiheit, sondern um die tatsächliche Möglichkeit, Entscheidungen aufgrund von gerechten Voraussetzungen selbstbestimmt treffen zu können – unabhängig von der gesellschaftlichen Positionierung (bedingt durch z. B. Geschlecht, Einkommen, Behinderung oder Aufenthaltsstatus). (1)

Aktuell sind wir noch weit entfernt von einer Reproduktiven Gerechtigkeit für alle Menschen. Dazu kommt, dass sexuelle und reproduktive Selbstbestimung durch den weltweit zunehmenden Einfluss rechter Bewegungen gefährdet sind und verteidigt werden müssen.

UNSERE FORDERUNGEN

Eine gerechte, solidarische und bedürfnisorientierte Gesundheitsversorgung für alle

Das Gesundheitssystem ist nach kapitalistischen und hierarchischen Prinzipien organisiert, anstatt menschliche Bedürfnisse in den Fokus zu stellen. Im Moment einer Bedürftigkeit nach medizinischer Hilfe verschärfen sich Machtstrukturen und Diskriminierungsverhältnisse: Menschen werden nicht gleich behandelt und haben unterschiedlichen Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Auch die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem spiegeln diese Strukturen wider: Hierarchien und Diskriminierung, hohe Arbeitsbelastung und schlechte Bezahlung sind Alltag. Das verschlechtert nicht nur die Situation für Beschäftigte, sondern auch die Qualität der Versorgung.

Wir fordern eine gerechte, solidarische und bedürfnisorientierte Gesundheitsversorgung! Das Gesundheitssystem darf nicht profitorientiert sein! Wir fordern gute Arbeitsbedingungen für alle, die im Gesundheitswesen tätig sind!

Abtreibungen legalisieren und ableismuskritisch hinterfragen

In Deutschland werden Schwangerschaftsabbrüche noch immer im Strafgesetzbuch unter § 218 geregelt und somit kriminalisiert. Als Ausnahme wird ein Abbruch bei einer festgestellten Behinderung des Kindes von der Krankenkasse bezahlt und damit staatlich unterstützt.

Es wird deutlich, dass im Kontext von Abtreibungen über Ableismus (Behindertenfeindlichkeit) gesprochen werden muss.

An der Stelle, wo es nicht mehr um die Entscheidung für oder gegen ein Kind, sondern aufgrund einer Behinderung um die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Kind geht, wird es extrem komplex und schwierig. Gesellschaftlich wird Leben unterschiedlich viel Wert zugeschrieben. So werden Schwangerschaftsabbrüche bei Kindern mit Behinderungen oft empfohlen und bei Schwangeren mit Behinderungen zwangsweise durchgeführt. (2)

Wir fordern eine Politik, die Strukturen schafft, um Behinderte Menschen und ihre Familien so zu unterstützen, dass diese ein gutes Leben leben können!

Schwangerschaftsabbrüche müssen legal sein und die Kosten von den Krankenkassen getragen werden! Rund um einen Schwangerschaftsabbruch muss es eine gute medizinische und psychosoziale Betreuung geben, was Hebammenbetreuung mit einschließt!

Gerechte Elternschaft

Unsere Perspektive auf Elternschaft ist queerfeministisch und intersektional.

Queer: Wir lehnen die binäre Geschlechterordnung ab, die nur zwei Geschlechter (cis Mann und cis Frau) anerkennt und die Heteronormativität hochhält. Rund um Schwangerschaft, Geburt und Elternwerden verstärken sich diese Rollenbilder. Wer nicht dem klassischen Bild von „Vater, Mutter, Kind“ entspricht, muss immer wieder um Akzeptanz kämpfen. So werden zweite Elternteile in nicht cis-heterosexuellen Beziehungen nur durch aufwändige Adoptionsverfahren anerkannt. Und im Personenstandsregister werden in Bezug auf Elternschaft nicht binäre Geschlechtsidentitäten ignoriert (ein trans-Mann, der ein Kind geboren hat, wird als „Mutter“ eingetragen). (3)

Feministisch: Rund um Elternschaft wirkt das Patriarchat: Sorgearbeit wird unsichtbar gemacht und bleibt unbezahlt, weswegen sorgetragende Personen oft von Armut bedroht oder betroffen sind. Das Versorgen von Kindern und Reproduktionsarbeit wird vor allem als Aufgabe der Kleinfamilie verhandelt. Somit werden patriarchale Machtverhältnisse aufrechterhalten und kapitalistische Strukturen gestützt.

Intersektional: Insgesamt wird Elternschaft durch verschiedene Diskriminierungsformen geprägt, die den Zugang zu Ressourcen ungleich verteilen. Dies verstärkt sich, wenn sich verschiedene Diskriminierungsformen (z. B. Rassismus und Klassismus) überschneiden.

Familienkonstellationen und Lebensrealitäten sind vielfältig und Elterschaft muss deswegen neu gedacht werden. Wir fordern gerechte Elternschaft und staatliche Strukturen, die diese unterstützen!

Bild der Hebamme

Der Hebammenberuf ist mit Stereotypen aufgeladen: So herrscht das Bild vor, dass eine Hebamme (um ein paar dieser Stereotype zu nennen) cis weiblich und mittleren Alters ist. Sie hat oder will Kinder, ist die beste Freundin der schwangeren Person, kennt keine persönlichen Grenzen und sieht ihren Job als Berufung.

In der Realität ist es ein schlechtbezahlter Beruf, weil er care Arbeit ist, der zu Überlastung und Überarbeitung führt. Die Uni- und Arbeitswelt ist durchzogen von Diskriminierungen und Machtverhältnissen, welche sowohl die Menschen, die wir betreuen, als auch uns als Hebammen betreffen. Wir agieren innerhalb dieses Systems, leiden darunter und reproduzieren es. Umso wichtiger ist es, all dies zu reflektieren.

Unser Wissen

Wir finden evidenzbasiertes Wissen und die wissenschaftliche Erforschung von Gesundheitsversorgung super! Dennoch haben wir Kritik an der Weise, wie Wissenschaft zumeist praktiziert wird: Sie ist durchzogen von Machthierarchien, Eurozentrismus, Kolonialismus und Kapitalismus. In unserem stetigen Lernprozess möchten wir uns deshalb zum Beispiel mit der Herkunft, Entstehung, Bewertung und Zugänglichkeit von Wissen auseinandersetzen.

Wir fordern, dass die Wissenschaft sich immer auch mit ihrem kolonialen Erbe auseinandersetzt und die Finanzierung von Forschung unabhängig von ihrer kapitalistischen Verwertbarkeit geschieht! Wir fordern, dass das erforschte Wissen so aufbereitet wird, dass es auch von Menschen verstanden werden kann, die keinen akademischen oder medizinischen Hintergrund haben!

In Hebammenkreisen beobachten wir einen starken Natürlichkeitshype. In zugespitzten Ausprägungen birgt dieser Diskurs die Gefahr für ableistischen Ausschluss. Oft bedeutet „alles ganz natürlich“ möglichst wenig medizinische Maßnahmen und wenig moderne Medizin. Es gibt aber viele Menschen, die auf diese angewiesen sind, auch im Kontext von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett – sowohl Kinder, als auch Erwachsene. Wenn diese Maßnahmen nun im Natürlichkeitsdiskurs per se als „unnatürlich“ gelten und ihre Inanspruchname abgewertet wird, ist das ableistisch.

Im Rahmen einer auf „Natürlichkeit“ ausgerichteten Hebammenarbeit werden oft Methoden angewandt, deren Ursprünge in nicht-westlichen, oftmals indigenen Kontexten liegen. Diese Praktiken werden häufig ohne angemessene Kontextualisierung, Herkunftsbenennung oder kritische Auseinandersetzung übernommen – und zugleich kommerzialisiert. Dies ist kulturelle Aneignung.

Eine häufig angewandte Behandlungsmethode ist die Homöopathie. Von dieser grenzen wir uns explizit ab. Homöopathie ist nicht evidenzbasiert und wirkt nicht über den Placebo-Effekt hinaus. 

Wir fordern, dass Menschen, die Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen, vor der Komplexität verschiedener Wissenssysteme und Behandlungsmethoden darin unterstützt werden, eine für sich selbst gute Entscheidung zu treffen! Dafür muss schon in Ausbildung und Studium von medizinischem Fachpersonal das vermittelte Wissen, dessen Herkunft und Entstehung kritisch eingeordnet werden.

Teil unseres Selbstverständnisses muss natürlich auch unser eigenes Wissen sein: Das von uns aufgearbeitete Wissen soll möglichst kostenlos verfügbar und unsere Fortbildungen so niedrigschwellig wie möglich zugänglich sein. Wir geben unsere Quellen transparent an und schulen uns darin, diese kritisch zu hinterfragen.

Wie wir arbeiten

Wir treffen Entscheidungen im Konsens, das heißt, wir suchen Lösungen, die alle mittragen können. Im Miteinander legen wir Wert auf respektvollen Umgang und Achten von Grenzen. Wir kritisieren einander konstruktiv und üben uns im Kritik-Annehmen. Fehler gehören beim Lernen dazu, sollten aber reflektiert werden. Wir passen unsere Arbeit an unsere Kapazitäten an. Niemand muss etwas leisten! Es ist uns wichtig, eine Gruppe zu sein, in der wir Solidarität, Austausch und Empowerment erleben.

Quellen

(1) Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung, 2023, Reproduktive Gerechtigkeit – Eine Einführung, https://www.gwi-boell.de/de/2023/08/04/broschuere-reproduktive-gerechtigkeit 

(2) Hahn-Klose, J., 2024. Frauen mit Behinderung in Deutschland werden „nach wie vor zwangssterilisiert“. RND.de. https://www.rnd.de/politik/frauen-mit-behinderung-in-deutschland-werden-nach-wie-vor-zwangssterilisiert-JIBDO65WCZEILIFMLMQQTN2RVA.html

(3) Das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Elternschaft von gleichgeschlechtlichen Paaren, https://familienportal.de/familienportal/lebenslagen/regenbogenfamilien/elternschaft-von-gleichgeschlechtlichen-paaren-192472